Fehlbildungen des äußeren Ohres
Fehlbildungen des äußeren Ohres stellen Gestaltungsanomalien der Ohrmuschel und des äußeren Ohres dar, die optische bzw. funktionelle Defekte verursachen.
Embryologie
Die Ohrmuschel und der äußere Gehörgang entstehen während der Embryogenese und entwickeln sich aus der 1. und 2. Schlundfurche. Die Entwicklung der Ohrmuschel beginnt in der 5. Embyonalwoche, wobei aus der 1. und 2. Schlundfurche je drei Wülste entstehen, aus denen sich später die 6 typischen Ohrmuschelelemente bilden (Tragus, Crus helicis, Helix, Fossa scaphoidea, Anthelix). In der 28. Entwicklungswoche entwickelt
sich der äußere Gehörgang durch die Einstülpung des Ektodermepithels der 1. Schlundfurche.
Fehlbildungen entstehen durch genetische Mutationen (ca. 15%) oder durch die Einwirkung umweltbedingter teratogener Einflussfaktoren. Angeborene Fehlbildungen des äußeren Ohres treten bei 1 von 7000 bis 15000 Neugeborenen auf, bei Jungen wird dieser Fehler um das 2-2,5-fache häufiger als bei Mädchen diagnostiziert. Die meisten angeborenen Missbildungen des Ohres treten im Rahmen autosomal-rezessiv vererbter Syndrome wie Mengel-Konigsmark-Syndrom, Möbius-Syndrom, Treacher-Collins-Syndrom u.a. auf.
Anatomie
Die Grundlage der Ohrmuschel bildet der Knorpel, der vorne dicht und hinten locker mit Haut überdeckt ist. Das Ohrläppchen besteht im Gegensatz zum Rest der Ohrmuschel aus Fettgewebe. Die Form der Ohrmuschel hat ein typisches Ohrrelief, um die Schallwellen effektiver einzufangen, mit zahlreichen Erhebungen und Vertiefungen, die jeweils eigene Bezeichnungen tragen (Tragus, Crus helicis, Helix, Fossa scaphoidea, Anthelix). Die Ohrmuschelmuskeln sind reduziert. Der Winkel zwischen der seitlichen Kopffläche und der Ohrmuschelebene beträgt rund 30 Grad. Die eigentliche Ohrmuschel liegt zwischen dem Kiefergelenk und dem Processus mamillaris und zieht weiter in das Schläfenbein als äußerer Gehörgang, der mit dem Trommelfell und dem mittleren Ohr endet. Der äußere Gehörgang eines Erwachsenen ist ca. 2,5 bis 3cm lang und ca 5 bis 10 mm breit, hat eine gebogene Form und den äußeren knorpeligen Anteil, der ein Drittel der Gesamtlänge ausmacht, ein Isthmus (anatomische Enge) und den knöchernen Anteil - die inneren zwei Drittel des Gehörgangs. Die Haut des knorpeligen Gehörgangs hat Haarfollikel und Zeruminaldrüsen, die Cerumen produzieren. Im knöchernen Anteil ist die Haut mit der Knorpelhaut fest verwachsen und hat keine zusätzlichen Strukturen. An der unteren Seite des knorpeligen Gehörgangs existieren anatomische Strukturen, die Incisurae cartilaginei meatus acustici (Santorini), die den Gehörgang mit den unten liegenden Strukturen (Parotisloge, Unterschläfengrube, Schädelbasis) verbinden und dadurch zur Ausbreitung von Infektionen beitragen.
Die Ohrmuscheln des Menschen sind individuell geformt, Ohrbilder werden in der Kriminalistik genauso wie Fingerabdrücke zur Identifizierung einer Person verwendet.
Klassifikation
1. Gehörgangsatresie
- Partielle Gehörgangsatresie (Stenose)
- Komplette Gehörgangsatresie
2. Veränderung der Größe und Lage der Ohrmuschel
- Mikrotie 1. Grades
- Mikrotie 2. Grades
- Mikrotie 3. Grades
- Mikrotie 4. Grades – Anotie
- Makrotie
- Otapostasis
3. Parotisfehlbildungen
- Präaurikuläre Fisteln
- Präaurikuläre Hautanhangsgebilde
- Keloide an der Ohrmuschel
- Darwin-Ohrhöcker
Gehörgangsatresie
Klinik
Diese Pathologie tritt mit einer Häufigkeit von 1:10000 bis 1:20000 auf, wobei in einem Drittel der Fälle eine doppelseitige Missbildung vorliegt. In einigen Fällen geht sie mit anderen Entwicklungsanomalien des Hörapparats wie Mikrotie einher. Die Erkrankung entwickelt sich durch die gestörte Invagination der 1. Schlundfurche, jedoch ist eine Atresie des knöchernen Gehörgangs immer sekundär und auf die Entwicklungspathologien des Schläfenbein und dessen Kanäle zurückzuführen. Abhängig von der Affektionstiefe werden komplette und partielle Gehörgangsatresie unterschieden. Bei einer komplette Atresie kommt es zum totalen Verschluss auf der ganzen Gehörgangslänge von der Haut bis zur Paukenhöhle.
Partielle Atresie zeigt sich durch eine Verengung im knorpeligen bzw. im knorpeligen und knöchernen Gehörgang.
Klinisch manifestiert sich diese Missbildung durch fehlenden Eingang in den Gehörgang bei einer kompletten Atresie oder durch eine Verengung des Gehörgangs, wobei der Zustand des Trommelfells und des Mittelohrs nicht zu beurteilen ist. Abhängig vom Ausprägungsgrad der Atresie geht diese Pathologie mit Schalleitungsstörungen unterschiedlichen Grades einher, wobei die Hörfunktion bei einseitiger partieller Atresie unbeeinträchtigt bleiben, und bei einer Komorbidität des Mittel- bzw. Innenohrs die Schwerhörigkeit gemischten Charakter (Schalleitungs- und Schallempfindungsstörung).
Diagnostik
- Otoskopie. Dabei werden die Lokalisation und die Tiefe des Prozesses festgestellt.
- Objektive Hörprüfungsverfahren: frühe akustisch evozierte Potentiale und otoakustische Emission (FAEP, OAU) Sie werden zur Funktionsprüfung des akustischen Analysators u. ggf. Entscheidung über die Notwendigkeit von Hörgeräteversorgung eingesetzt.
- CT Schläfenbein. Diese Untersuchung ermöglicht eine Präzisierung vom anatomischen Knochenbau, Gesichtsnervenverlauf, Stenosetiefe sowie evtl. zusätzlichen Anomalien.
Therapie
Es kommt konservative und chirurgische Therapie abhängig vom Ausprägungsgrad des Prozesses zum Einsatz. Bei partieller Stenose können Hörapparate verwendet werden. Bei kompletter Atresie werden Knochenleitungshörgeräte(BAHA) eingesetzt, durch die der äußere Schall über ein subkutan im Schläfenbein implantiertes Titanelement über die Schädelknochen direkt an die Cochlearezeptoren abgegeben wird. Bei kompletter beidseitiger Atresie sollte eine Hörprotheseversorgung bereits früh (im 3. bis 4. Lebensmonat) erfolgen, um einen normalen Hör- und Spracherwerb sowie regelrechte soziale Adaptation sicherzustellen.
Chirurgisch wird der Defekt im Alter von 7 bis 10 Jahren und bei Mikrotie nach deren Korrektur versorgt. Ziel des chirurgischen Eingriffs ist, die regelrechte Anatomie des Gehörgangs wiederherzustellen. Es erfolgt eine Meatusplastik, ggf. in Kombination mit Tympanoplastik, in einer oder mehreren Etappen. Einseitige Atresie wird selten chirurgisch versorgt, da der operative Eingriff die Lebensqualität des Patienten nicht verbessert und der Hörverlust mit einem Hörgerät ausgeglichen werden kann.
Veränderungen der Größe und Lage der Ohrmuschel
Klinik
Diese Gruppe von Erkrankungen beinhaltet Mikrotie (4 Grade), Makrotie und Otapostasis (Segelohren). Bei Mikrotie 1. Grades liegt eine im Vergleich zur Norm zu kleine Ohrmuschel vor, die natürlichen Knorpelstrukturen sind vollständig vorhanden. Die Mikrotie 2. Grades zeichnet sich durch eine Verformung und kleine Größe der Ohrmuschel unterschiedlichen Grades, nicht Ohrmuschelstrukturen sind vorhanden. Häufig liegt auch eine Gehörgangsstenose vor. Bei Mikrotie 3. Grades stellen die Ohrmuschel kleine rudimentäre Strukturen dar, der äußere Gehörgang fehlt häufig. Die Mikrotie 4. Grades präsentiert sich durch eine fehlende Ohrmuschel zusammen mit dem Gehörgang, selten ist der letztere ausgebildet. Bei Mikrotie 3. und 4. Grades besteht neben kosmetischer Beeinträchtigung eine Schalleitungsstörung unterschiedlichen Grades.
Bei Makrotie ist das Ohr wesentlich vergrößert. Die Otapostasis (Apostasis otum) präsentiert sich durch einen vergrößerten Winkel zwischen der Kopfseitenfläche und der Ohrmuschelebene (30 bis 90 Grad). Diese Pathologien führen keine Funktionbeeinträchtigung des akustischen Analysators herbei, werden aber oft als kosmetisch störend empfunden und gehen mit psychologischen Problemen einher.
Diagnostik
Die Diagnose wird anhand der visuellen Inspektion der Ohrmuscheln gestellt. Bei einer Zusatzerkrankung (Gehörgangsatresie, Schwerhörigkeit) erfolgt eine Hörprüfung (FAEP, OAU) und Schläfenbein-CT.
Therapie
Die Defekte werden chirurgisch versorgt. Bei Mikrotie erfolgt Ohrmuschelplastik mit autogenen Knorpeltransplantaten (Rippenknorpel wird eingesetzt) und einem Hautlappen oder eine Plastik mit Silikonprothesen entsprechender Größe. Die operative Behandlung erfolgt in der Regel im frühen Kindesalter. Weit verbreitet sind heutzutage Ektoprothesen (nichtchirurgisches Therapieverfahren), für die ein Abdruck des gesunden Ohres und auf dessen Grundlage eine Silikonprothese für die Korrektur des bestehenden Defekts hergestellt wird. Die Ektoprothese wird in ihrer Farbe und Struktur der Haut des Patienten möglichst nah gewählt und mit Kleber, Clips oder Magneten (intraossär implantiert) befestigt. Bei Mikrotie in Kombination mit Komorbiditäten (Gehörgangsatresie) erfolgt zusätzlich eine Meatusplastik in einer oder mehreren Etappen. Makrotie und Otapostasis werden in jedem Alter chirurgisch behandelt. Dabei wird überschüssiges Knorpelgewebe und Haut entfernt und die gewünschte Ohrmuschelform gebildet.
Parotisfehlbildungen
Klinik
Zu den Parotisfehlbildungen gehören zusätzliche Formationen der Ohrmuschel aus Haut, Epithel und Knorpelgewebe, die während der embryonalen Entwicklung im Bereich der 1. Schlundfurche bestehen bleiben. Dazu gehören präaurikuläre Fisteln, Hautanhangsgebilde (Ohranhängsel), Keloide und Darwin-Ohrhöcker. Präaurikuläre Fisteln stellen blinde Gänge dar, deren Ausgänge vor der Ohrmuschel oder an der Spina helicis zu finden sind. Klinisch liegt eine kosmetische Beeinträchtigung vor sowie tritt bei Vereiterung pathologisches Exsudat mit Entzündungszeichen (Hyperämie, Infiltrat, lokale Schmerzhaftigkeit, Fieber) aus. Ohranhängsel befinden sich vor der Ohrmuschel und stellen keine Funktionsstörung dar, werden aber als kosmetisch störend empfunden. Keloide entstehen nach einer Verletzung der Haut und der Weichteile in der Ohrmuschelregion, häufig nach Piercing, und entstehen durch das überschießende Wachstum von Bindegewebe, neigen zum schnellen Wachstum und häufigen Rezidiven. Darwin-Ohrhöcker ist ein Rudiment in Form eines verdickten oberen Helixrandes, der manchmal eine kosmetische Beeinträchtigung darstellt.
Diagnostik
In den meisten Fällen reicht eine klinische Untersuchung aus. Bei präaurikulären Fisteln erfolgt Fistulographie und ggf. Fistelgangsonographie.
Therapie
Die Behandlung umfasst chirurgischen Eingriff mit Resektion der pathologischen Komponente. Bei einer Infektion im Fistelgang erfolgt Entzündungs- und antibakterielle Therapie. Keloide rezidivieren sehr häufig nach einer Skalpellresektion. In der Regel erfolgt vor deren Entfernung konservative Therapie durch intrafokale Injektionen von Glukokortikoiden und Enzymen mit anschließender Entfernung durch Laserenergie oder Kryoeinwirkung.










