VOKA

Traumata des Mittel- und Innenohrs

Inhaltsverzeichnis
Klassifikation Ätiologie Anatomie Klinik Diagnostik Therapie

Traumata des Mittel- und Innenohrs sind anatomisch-funktionelle Störungen, die durch pathologische Kräfte verursacht werden und zu Hörverlust oder Gleichgewichtsstörungen führen.

Die traumatische Perforation des Trommelfells ist eine Verletzung der Integrität des Trommelfells, die durch einen äußeren Reizfaktor verursacht wird und mit einem Hörverlust einhergeht.

Die Verletzung der Gehörknöchelchenkette ist ein Krankheitsbild, bei dem die Integrität der Gehörknöchelchenkette beeinträchtigt ist, was zu einer gestörten Schallübertragung auf die Strukturen des Innenohrs führt.

Unter Hämatotympanon versteht man eine Ansammlung von Blut in der Paukenhöhle bei einem intakten Trommelfell.

Die Felsenbeinfraktur ist eine Verletzung der anatomischen Integrität des Schläfenbeins, die durch eine mechanische Einwirkung verursacht wird und bei der die im Inneren der Pyramide befindlichen Strukturen beschädigt werden.

Die posttraumatische Mastoiditis ist eine posttraumatische entzündliche Veränderung des Knochengewebes und der Schleimhaut von Warzenfortsatz (Processus mastoideus). 

Klassifikation 

Traumata des Mittelohrs:

  • Zentrale traumatische Perforation des Trommelfells
  • Randständige traumatische Perforation des Trommelfells
  • Komplette traumatische Perforation des Trommelfells
  • Hämatotympanon

Verletzungen der Gehörknöchelchenkette 

  • Ruptur der Articulatio incudomallearis (Hammer-Amboss-Gelenk)
  • Ruptur der Articulatio incudostapedialis (Amboss-Steigbügelgelenk)
  • Luxation des Steigbügels (Stapes)
  • Fraktur des Hammers (Malleus)
  • Fraktur des Amboss (Incus)
  • Fraktur des Steigbügels

Traumata des Innenohrs:

  • Felsenbeinlängsfraktur
  • Felsenbeinquerfraktur

Sonstiges:

  • Posttraumatische Mastoiditis

Ätiologie 

Alle Schädigungen des Mittel- und Innenohrs werden durch einen pathologischen Außenreiz verursacht. Die häufigsten Ursachen sind Verkehrsunfälle oder selbst zugefügte Verletzungen durch die Verwendung von ungeeigneten Gegenständen zur Reinigung des Gehörgangs (Fremdkörper). Darüber hinaus werden Perforationen des Trommelfells (Myrinx) und Schädigungen der Gehörknöchelchenkette durch plötzliche Druckveränderungen im Gehörgang — die sogenannten Barotraumen (Barootitis) (Schläge auf das Ohr, Küssen, schnelles Ab- bzw. Auftauchen) — sowie durch Stöße mit dem Kopf gegen harte Gegenstände verursacht. In ganz seltenen Fällen kommt es zu einer Verlagerung der Gehörknöchelchen während einer Mittelohr-OP oder Parazentese.

Ein Hämatotympanon kann bei starkem Husten oder Niesen auftreten, wenn kleine Blutgefäße der Paukenhöhlenschleimhaut reißen. Es kann aber auch Ausdruck einer Felsenbeinfraktur sein oder infolge einer hinteren Nasentamponade bei starkem Nasenbluten oder einer Adenotomie auftreten.

Schläfenbeinbrüche stellen ein Sonderfall der Schädelbasisfraktur dar. Neben Verkehrsunfällen sind Schlägereien und Prügeleien die häufigsten Ursachen dafür. Längsfrakturen werden durch Krafteinwirkung auf die Schläfenregion an der betroffenen Seite verursacht, während Querfrakturen entstehen, wenn mechanische Kraft auf die Frontal- oder Okzipitalregion einwirkt.

Es ist zu beachten, dass alle genannten Typen von Verletzungen miteinander kombiniert sein können.

Bei unzureichender Diagnostik, nicht rechtzeitiger Diagnose oder fehlender adäquater Behandlung der genannten Symptomatik kann sich durch das Eindringen pathogener Keime aus dem Nasopharynx bzw. durch das perforierte Trommelfell eine posttraumatische Mastoiditis entwickeln.

Anatomie 

Die Perforation des Trommelfells ist durch eine Verletzung der Integrität aller Schichten (Epithel, Fasern und Schleimhaut) gekennzeichnet. An der Läsionsstelle bildet sich ein Loch mit hämorrhagischen Rändern. Im äußeren Gehörgang findet sich Blut, und beim beschädigten Schläfenbein kann Liquor austreten.

Bei der Auswahl einer geeigneten Behandlungstaktik ist die Lokalisierung und Größe der Perforation von Bedeutung. Zentrale Perforationen sind solche, die sich im gespannten Teil (Pars tensa) — häufiger im Quadrant 2 (vorne unten) — des Trommelfels befinden und den Faserring (Anulus fibrocartilagineus) nicht betreffen. Randständige Perforationen liegen im lockeren Abschnitt (Pars flaccida) des Trommelfells (Quadrant 3, hinten unten). Dabei ist der Faserring mitbetroffen. Die Perforationen dieser Lokalisationen können entweder rund oder schlitzförmig sein.

Eine totale Perforation ist ein Defekt, bei dem nahezu die gesamte Trommelfellfläche beschädigt wird und kleine Lappen an den Rändern zurückbleiben, die in der Regel in die Mittelohrhöhle gewickelt sind. 

Selbst bei kleineren Schäden am Trommelfell ist eine Luxation der Gehörknöchelchen möglich. Eine traumatische Perforation im hinteren oberen Quadranten (Quadrant 4) ist am häufigsten mit einer Ruptur der Gehörknöchelchenkette verbunden. Rupturen der Gehörknöchelchengelenke sind viel häufiger als Frakturen der Gehörknöchelchen und können entweder in Verbindung mit einer traumatischen Perforation des Trommelfells oder unabhängig davon auftreten.

Die häufigste Läsion der Gehörknöchelchenkette nach einem stumpfen oder penetrierenden Trauma des Mittelohrs ist eine Ruptur der Articulatio incudostapedialis (Amboss-Steigbügelgelenk). Das Amboss-Hammer-Gelenk (Articulatio incudomallearis) ist durch die Paukenkuppel (Recessus epitympanicus) besser geschützt, jedoch ist seine Luxation die zweithäufigste Verletzung der Gehörknöchelchen. Der Amboss ist das schwerste der drei Gehörknöchelchen des Mittelohrs und wird von zwei schwachen Bändern getragen, wodurch er anfälliger für Luxationen und Frakturen ist. Der Hammer (Malleus) wird am Trommelfell, u.zw. am Musculus tensor tympani befestigt sowie durch die drei Bänder — Ligamentum mallei superius, anterius und laterale — fixiert, die den Malleus so weit wie möglich vor Beschädigung und Verlagerung schützen. Der Steigbügel (Stapes) ist ebenfalls durch das ringförmiges Band fest mit ovalen Fenster verbunden, doch kommt es häufig zu einer traumatischen Luxation des Steigbügels aus der Fenestra ovalis.

Frakturen der Gehörknöchelchen sind selten und können überall lokalisiert sein. Am häufigsten sind Frakturen des langen Ambossschenkels (Crus longum) und der Steigbügelschenkel. Einzelfälle von Frakturen des Manubrium mallei sind auch beschrieben. Bei einer Gehörknöchelchenfraktur kommt es zu einer Verschiebung der erhaltenen Kette zu den Ansatzstellen der Bänder. 

Beim Hämatotympanon bleibt das Trommelfell intakt, aber in der Paukenhöhle sammelt sich hämorrhagischer Inhalt an, wodurch das Trommelfell eine violett-blaue Farbe annimmt und sich in das Lumen des Gehörgangs auswölben kann. Die Blutungsquellen können unterschiedlich sein: traumatisierte Gefäße der Paukenhöhlenschleimhaut oder Blut, das nach chirurgischen Eingriffen oder Nasenbluten durch die Ohrtrompete aus der Nasenhöhle oder dem Nasopharynx in das Mittelohr gelangt. 

Felsenbeinfrakturen werden nach der Bruchrichtung in Längs- und Querfrakturen (längs bzw. quer zur Pyramide des Felsenbeins) unterteilt, wobei in der Praxis häufig Kombinationen aus beiden Formen vorkommen. Der häufigste Frakturtyp ist mit ca. 80 % der Fälle die Felsenbeinlängsfraktur, bei dem die Innenohrstrukturen intakt bleiben, die Gehörknöchelchenkette aber geschädigt wird. Gleichzeitig kommt es zur Ruptur des Trommelfells und Fraktur der knöchernen Wand des Gehörgangs. Gesichtsnervenkanal (Canalis nervi facialis) kann verletzt sein, was zur Entwicklung eines Ödems führt und mit Otoliquorrhoe oder Otogematorrhoe einhergeht. Bei Querfrakturen kommt es zur Schädigung der Schnecke bzw. der knöchernen Bogengänge mit Bildung einer Liquorfistel. Der innere Gehörgang und der Gesichtsnervenkanal sowie das Trommelfell bleiben intakt, ein Hämatotympanon kann beobachtet werden. 

Bei der posttraumatischen Mastoiditis entwickelt sich im Zusammenhang mit traumatischen Veränderungen im Mittelohr (in der Regel in Anwesenheit einer pathologischen Komponente (Blut) in den Zellen des Processus mastoideus) eine Entzündung, die sich auf die Schleimhaut und das Knochengewebe der Paukenhöhle und des Schläfenbeins ausbreitet. Bei der Entwicklung des Prozesses wird Knochenkaries mit Sequestern beobachtet, die von eitrigem Inhalt umgeben sind. Bei einer Perforation des Trommelfells kommt es zum Ausfluss eitrigen Exsudats in den äußeren Gehörgang. Bleibt das Trommelfell intakt, ist es vorgewölbt mit abgeflachten Erkennungszeichen. Ein Überhängen der hinteren Wand des Gehörgangs kann festgestellt werden.

Klinik 

Die häufigsten Beschwerden bei allen Mittel- und Innenohrverletzungen sind Hörverlust, Ohrgeräusche und taubes Gefühl sowie Schmerzen zum Zeitpunkt der Verletzung und danach. Eine Schallleitungsschwerhörigkeit ist typisch für eine Schädigung des Trommelfells und des Mittelohrs, während eine Schädigung des Innenohrs durch eine Schallempfindungsschwerhörigkeit oder eine kombinierte Schwerhörigkeit gekennzeichnet ist.

Bei einer Verletzung des Trommelfells kann eine kleine Menge Blut aus dem Gehörgang austreten. Wenn das Mittelohr geschädigt ist, nimmt die Menge des hämorrhagischen Ausflusses zu, das Gehör kann im geschädigten Ohr bis zur Taubheit herabgesetzt sein, mit einem pulsierenden Geräusch, das bei Pusten strärker wird. Vestibuläre Symptomatik (Schwindel, Übelkeit, Erbrechen, Schwanken) deutet auf eine Luxation des Steigbügels aus dem ovalen Fenster hin. Labyrinthstörungen und Taubheit ist ebenfalls charakteristisch für Innenohrschäden bei Schläfenbeinfrakturen, die mit einer Gesichtsnervenlähmung kombiniert sein können.

Längsfrakturen sind gekennzeichnet durch eine leichte Schallleitungsschwerhörigkeit, Blut- oder Liquorfluss aus dem Gehörgang durch das verletzte Trommelfell, eine verzögerte vorübergehende Lähmung des Gesichtsnervs und einen kurzzeitigen Schwindel.

Bei Querfrakturen ist die Klinik gravierender, gekennzeichnet durch Innenohrschwerhörigkeit bis hin zur Taubheit, ausgeprägte labyrinthische Störungen (anhaltender und intensiver Schwindel, Übelkeit, Erbrechen), Spontannystagmus in Richtung des gesunden Ohrs, Gesichtsnervenlähmung unmittelbar nach der Verletzung, Liquorfluss in den Nasenrachenraum durch die Tuba auditiva. In beiden Fällen kann das Bettle-Zeichen (Hämatome hinter den Ohren) beobachtet werden. 

Bei Schläfenbeinfrakturen sind Früh- und Spätkomplikationen möglich, von denen die Schädigung der Halsschlagader, des Gesichtsnervs, Mastoiditis und Meningitis die gefährlichsten sind.  

Bei der traumatischen Mastoiditis treten vor dem Hintergrund der allgemeinen Traumasymptomatik Entzündungssymptome auf:

die Körpertemperatur steigt auf fiebrige Werte an,der Schmerz hinter dem Ohr hat einen ständigen pulsierenden Charakter, der durch das Abtasten des Warzenfortsatzes verstärkt wird,

bei Vorliegen einer Perforation tritt Eiter aus dem Gehörgang aus. 

Diagnostik 

Die Diagnose wird anhand einer otorhinolaryngologischen Untersuchung und einer sorgfältig erhobenen Anamnese gestellt, eine Otomikroskopie wird durchgeführt. Die Funktion des Gleichgewichtsorgans und das Gehör werden mittels Audiometrie, Akumetrie, Tympanometrie, Stimmgabel- und Gleichgewichtstest beurteilt. Unter den instrumentellen Methoden ist ein Dünnschicht-Schläfenbein-CT zur Bestimmung des Volumens der Läsion obligat. In einigen Fällen ist neurologische/neurochirurgische bzw. augenärztliche Rücksprache empfohlen. Zur Beurteilung der Funktion des Gesichtsnervs wird die Elektroneuromyographie eingesetzt.

Therapie 

Bei der Behandlung von Trommelfellperforationen ist ein abwartendes Vorgehen am sinnvollsten, da sich sogar große Perforationen von selbst schließen können. Besteht der Verdacht auf eine Infektion der Perforation zum Zeitpunkt der Verletzung, werden topische antibakterielle Medikamente in Form von Tropfen verschrieben. Wichtig für eine schnelle Heilung ist, Sekundärinfektionen zu vermeiden, das Eindringen von Wasser zu begrenzen und eine gute Funktion des Gehörgangs zu gewährleisten. Wenn die Perforation nicht innerhalb von 2 bis 3 Monaten abheilt oder wenn sie in der Pars flaccida (lockerer Abschnitt des Trommelfells) liegt bzw. den Faserring betrifft, wird eine Tympanoplastik durchgeführt. Wenn eine Trommelfellinfektion vorliegt, werden antibakterielle Medikamente verschrieben, die systemisch oder topisch verabreicht werden. Nach einer Tympanoplastik ist eine HNO-ärztliche Überwachung für mindestens 2 Jahre empfohlen, da weiterhin die Gefahr eines Cholesteatoms besteht. 

Bei Hämatotympanon wird eine systemische antibakterielle Therapie und topische Präparate in die Nasenhöhle (intranasale Dekongestiva) verabreicht, um die Funktion der Ohrtrompete zu verbessern. Dazu wird auch empfohlen, die Tuba auditiva durchzublasen; bei einem günstigen Verlauf wird das Blut innerhalb von 7-10 Tagen lysiert. Bei einer Infektion des Paukenhöhleninhalts wird die Paukenhöhle punktiert und das pathologische Sekret abgesaugt; eine antibakterielle Therapie verordnet, wobei eventuelle Resistenzen berücksichtigt werden.

Um die Gehörknöchelchenkette wiederherzustellen, werden 3-6 Monate nach der Verletzung eine Revision der Paukenhöhle und eine Tympanoplastik durchgeführt, da es in dieser Zeit durch eine narbige Rupturverwachsung zu einer spontanen Gehörverbesserung kommen kann. 

Die konservative Therapie bei Schläfenbeinfrakturen beinhaltet systemische Kortikosteroide, um eine spätere Gesichtsnervenparese zu verhindern, sowie systemische antibakterielle Therapie zur Prophylaxe von möglichen bakteriellen Komplikationen. Bei Schläfenbeinfrakturen ist eine abwartende Vorgehensweise bei der chirurgischen Behandlung gerechtfertigt. Ein frühzeitiger chirurgischer Eingriff ist bei einer Gesichtsnervenlähmung, einer Liquorfistel mit zunehmender vestibulärer Symptomatik oder einer schweren Schallempfindungsschwerhörigkeit erforderlich. Entwickelt sich das Ödem des Gesichtsnervs in der Folgezeit vor dem Hintergrund der konservativen Therapie, ist eine Fazialisdekompression angezeigt. Bei anhaltender Liquorrhoe von mehr als 14 Tagen ist auch ein chirurgischer Eingriff mit Verschluss des Defekts angezeigt. Bei Vorliegen von entzündlichen Komplikationen (Mastoiditis, Meningitis) wird eine Antro-Mastoidektomie mit Revision der Paukenhöhle und der Mastoidzellen durchgeführt und eine massive Antibiotikatherapie verordnet.