Lungenvenenfehlmündung
Embryologie
Embryonal entwickeln sich Lungen-, Rachen- und Tracheobronchialbaumanlagen aus dem Anfangsteil des primären Verdauungskanals. Im frühen Entwicklungsstadium sind Lungenanlagen von dem Gefäßgeflecht des primären Verdauungskanals, dem Plexus coeliacus (Eingeweidegeflecht) umhüllt. Mit der fortschreitenden Lungendifferenzierung bildet ein Teil des Plexus coeliacus die Lungenstrombahn aus. Im ersten Stadium ist sie nicht direkt mit dem Herz verbunden und wird über Plexus coeliacus entleert.
Die endgültige Verbindung der Lungenstrombahn mit dem Herz hängt von der späteren Verbindung der Ausbuchtung des Sinusbereichs des Herzens (der gemeinsamen Lungenvene) mit dem pulmonalen Teil des Plexus coeliacus ab. Diese Ausbuchtung bildet sich links von dem sich entwickelnden primären Septum. Wenn diese zwei Bildungen zusammenwachsen, werden primäre Verbindungen zwischen dem pulmonalen Teil des Plexus coeliacus und dem kardinalen und umbilikalen Venensystem allmählich reduziert. Die Lungenstrombahn mündet nun über vier getrennte große Lungenvenen in eine gemeinsame Lungenvene, die in den gemeinsamen Vorhof entleert wird. Die gemeinsame Lungenvene ist eine vorübergehende anatomische Formation. Im Verlauf des differentialen Wachstums wird sie in den linken Vorhof als vier getrennte Lungenvenen integriert.
Die embryonmäßige Grundlage der meisten Lungenvenendefekte stellt eine falsche Entwicklung der gemeinsamen Lungenvene der. Falls es zu keiner Verschmelzung der Ausbuchtung des Sinusbereichs mit dem pulmonalen Venenplexus gekommen ist, werden Lungenvenen auf einem primitiveren Wege über Systemvenen entleert.
Klassifikation
Grundformen:
- Partielle Fehleinmündung der Lungenvenen (PAPVC);
- Totale Fehleinmündung der Lungenvenen (TAPVC);
- Angeborene Lungenvenenstenose.
Nach Mündungebene:
- Suprakardiale Form;
- Intrakardiale Form;
- Infrakardiale Form.
Partielle Fehleinmündung der Lungenvenen (PAPVC)
Anatomie
Es können unterschiedliche Varianten der Lungenveneneinmündung in das rechte Herz vorkommen. Dabei tritt eine Fehlmündung der rechten Lungenvenen öfter auf, als die der linken.
Rechte Lungenvenen münden in die Derivate des rechten Kardinalsystems, u.zw. in den rechten Vorhof, die obere Hohlvene (oft in Kombination mit dem Venensinusdefekt) sowie in die untere Hohlvene, meistens bei einem intakten Vorhofseptum.
Linke Lungenvenen münden in die Derivate des linken Kardinalsystems —in die linke Vena anonyma über die linke rudimentäre Vertikalvene bzw. in den koronaren Sinus.
Alle PAPVC-Formen weisen gemeinsame anatomische Merkmale auf: Erweiterung und Hypertrophie des rechten Vorhofs und Ventrikels und Dilatation der A.pulmonalis. Das linke Herz ist nicht erweitert.
Hämodynamik
Hämodynamische Störungen sind ähnlich wie bei einem Vorhofseptumdefekt — der pulmonale Blutfluss ist überflutet wegen der Blutrezirkulation über die Lungen. Dessen Volumen hängt von der Anzahl der falsch gebildeten Venen, Bestehen und Größe des ASD sowie vom Wert des pulmonalen Gefäßwiderstandes (Rp) ab. Bemerkbare hämodynamische Störungen entstehen bei der zumindest 1,5-fachen Steigung des pulmonalen Blutflusses.
Falls eine Vene in den rechten Vorhof bzw. seine Zuflüsse mündet, beträgt der Links-rechts-Shunt ca. 20% des gesamten pulmonalen Blutflusses.
Diese geringe Hypervolämie ist klinisch irrelevant. Falls alle Lungenvenen bis auf eine normal münden, entsprechen Physiologie und klinische Erscheinungen einer PAPVC. Falls alle Venen eines Lungen falsch münden, hängt der pulmonale Blutfluss von der Größe des pulmonalen Gefäßwiderstandes und der atrialen Dehnbarkeit ab.
Diagnostik
- EchoKG, CT. Defektdarstellung. PAPVC wird bei Verdacht aufgrund gesamtklinischer Daten (z.B. Rechtsherzdilatation, ASD oder zusätzliche obere Hohlvene) diagnostiziert.
- EKG. Meistens normal. Es können Zeichen einer Rechtsherzüberlastung, Rechtsschenkelblock vorliegen.
- Röntgenthoraxaufnahme. Röntgenmäßige Veränderungen kennzeichnen den Umfang des überflüssigen Blutflusses über das rechte Herz. In der Neugeborenenperiode können keine Symptome (hoher Gesamtlungenwiderstand) vorliegen, die sich aber mit dem Rückgang des Gesamtlungenwiderstandes immer mehr ausprägen. Es können spezifische Zeichen festgestellt werden, die auf eine Fehlmündung der Lungenvenen hindeuten. Wenn die Lungenvenen z.B. in die obere Hohlvene münden, ist ihr unterer Abschnitt dilatiert, was sich durch eine Erweiterung des Herzschattens über der rechten Vorhofkontur bzw. durch doppelte Dichtheit innerhalb des oberen Vorhofrandes bemerkbar macht.
- Herzkatheteruntersuchung und Angiographie. Wird in unklaren Fällen zur Differentialdiagnose eingesetzt. Besonders aussagekräftig ist die KM-Applikation in die A.pulmonalis — dadurch wird der gesamte anatomische Wegaufbau des pulmonalen Venenblutes in das rechte Herz nachvollziehbar.
Symptome
Klinische Erscheinungen hängen von der Anzahl der Lungenvenen, die in das rechte Herz münden, ab. Die Fehlmündung einer der Lungenvenen ist klinisch irrelevant. Sogar bei einer Fehlmündung der Hälfte von allen Lungenvenen weisen Kinder i.d.R. keine Symptome auf. Objektive klinische Zeichen entsprechenen denen eines ASD, bei dem breite fixierte II. Tonspaltung vorkommt. Unter der fortschreitenden Lungenhypervolämie und arteriellen Hypertonie treten Symptome wie schlechte Verträglichkeit der körperlichen Belastung, übermäßige Müdigkeit, Atemnot, erneute pulmonale Infekte auf.
Behandlung
Eine operative Indikation wird vom Umfang des Links-rechts-Shunts bestimmt. Ein Eingriff ist indiziert, wenn der pulmonale Blutfluss zumindest um das 1,5-fache größer ist, als der systematische Blutfluss. Das optimale Alter für eine Operation ist 2–5 Jahre. Das Ziel des chirurgischen Eingriffs ist die Umleitung des Blutflusses in das linke Herz mittels spezieller Patches in Tunnelform.
Totale Fehleinmündung der Lungenvenen (TAPVC)
Anatomie
Abhängig von Mündungsebene werden 4 Varianten ausgesondert:
- Suprakardial. Die Lungenvenen münden in die obere Hohlvene.
- Intrakardial. Ein gemeinsamer Blutleiter der Lungenvenen mündet in den koronaren Sinus bzw. münden sie in vier getrennten Stellen in den rechten Vorhof.
- Infrakardial. Die Lungenvenen münden in die Vena portae, Ductus venosus, Lebervene oder untere Hohlvene.
- Mischtyp. Dieser Typ stellt eine Kombination der oben beschriebenen Varianten dar.
Hämodynamik
Sehr wichtig für das postnatale Überleben ist u.a. das Bestehen einer Kommunikation des rechten und linken Vorhofs (ASD, das Foramen ovale). Im Vorhof vermischt es sich mit dem Venenblut und gelangt über ASD bzw. Foramen ovale in den großen Blutkreislauf; ein weiterer Teil des Blutes gelangt in den kleinen Kreislauf. Der Kreislauf hängt in erster Linie von der Größe der interatrialen Kommunikation ab. Falls sie restriktiv ist, ist das Blutvolumen, das in den linken Vorhof gelangt, ziemlich klein, sodass der systematische Blutfluss reduziert ist. Bei einem breiten Foramen ovale bzw. ASD erfolgt freier Blutfluss zwischen den zwei Vorhöfen. Unter solchen Bedingungen wird die Verteilung des gemischten Venenblutes vom Widerstandsverhältnis des großen und kleinen Kreislaufs sowie von der Ventrikeldehnbarkeit bestimmt.
TAPVC ohne Venenobstruktion
Bei der Geburt ist die Blutflussverteilung zwischen dem großen und kleinen Kreislauf ungefähr gleich, da der Gefäßwiderstand fast gleich ist. Innerhalb der ersten Lebenswochen erfolgt die Reifung der Lungenstrombahn, Rückgang des pulmonalen Arterienwiderstandes und schrittweise Umfangsvermehrung des gemischten Venenblutes, das in den kleinen Kreislauf gelangt.
Der pulmonale Blutfluss übersteigt um ein Mehrfaches den Systemblutfluss. Als Regel wird das Blut im rechten Vorhof gut vermischt, sodass die Blutsättigung im rechten Vorhof, der. A.pulmonalis, im linken Vorhof, linken Ventrikel und der Aorta dem Wert des rechten Vorhofs gleich ist.
TAPVC mit pulmonaler Venenobstruktion
Hochdruck in pulmonalen Venen wird in die pulmonale Kapillarstrombahn weitergeleitet. Wenn der hydrostatische Druck in den Kapillaren den osmotischen Blutdruck überschreitet, entwickelt sich ein Lungenödem. Als Mechanismen, die auf die Vermeidung dieser Komplikation gerichtet sind, gelten erhöhter Lymphstrom, alternative Bypass-Lungenvenen, Reduktion der Kapillarpermeabilität und Arteriolenreflexkrampf.
Der letzere verursacht die Reduktion des pulmonalen Blutflusses, pulmonale Hypertonie, rechtsventrikulären Hochdruck, Hypertrophie und rechtsventrikuläre Insuffizienz. Durch den Rückgang des pulmonalen Blutflussvolumens reduziert sich der Anteil des gesättigten Blutes im gemischten Venenblut sowie geht die arterielle Sättigung im großen Blutkreislauf zurück.
Diagnostik
- EchoKG, CT, MRT. Bestätigung der klinischen Diagnose und Lokalisation der Fehlmündung. Bei Doppleruntersuchung können Obstruktionen einzelner Lungenvenen festgestellt werden.
- EKG. Ein typisches Zeichen stellt eine hohe steil erscheinende P-Welle in der II. bzw. rechten Ableitung dar, was von der Vergrößerung des rechten Vorhofs zeugt. Es werden Rechtslagetyp, rechtsventrikuläre Hypertrophiezeichen diagnostiziert, die sich durch hohe Zacken und Wellen in rechten Ableitungen sowie inkompletten Rechtsschenkelblock auszeichnen.
- Röntgenthoraxaufnahme. Zeichen eines erhöhten pulmonalen Blutflusses. Rechter Vorhof und rechter Ventrikel sind dilatiert und hypertrophiert, der Pulmonalarterienbogen wölbt sich vor. Bei einer Fehlmündung der Lungenvenen in die obere Hohlvene prägt sich ihre Dilatation durch die Vorwölbung des rechten oberen Herzschattenrandes aus. Typische röntgenmäßige Merkmale fehlen i.d.R. im Laufe der ersten Lebensmonate und treten oft bei älteren Kindern und Erwachsenen aufn.
- Herzkatheteruntersuchung. Erfolgt zur Präzisierung wichtiger Details, die bei EchoKG nicht aufgeklärt wurden.
Symptome
Der klinische TAPVC-Verlauf hängt von anatomischen und hämodynamischen Eigenschaften des Defekts, insbesondere dem Wert des gesamtpulmonalen Widerstandes, Grad der pulmonalen Venenobstruktion, ASD-Größe, dem rechtsventrikulären Myokardzustand sowie Bestehen eines funktionsfähigen Ductus arteriosus ab.
TAPVC ohne Venenobstruktion. Bei der Geburt weisen solche Kinder keine Symptomatik auf. Bald darauf entwickelt sich bei jedem zweiten Kind Ödem, Husten, Ernährungsschwierigkeiten, erneute respiratorische Infektionen und Herzinsuffizienz. TAPVC mit pulmonaler Venenobstruktion. Die Symptome machen sich in den ersten 12 Stunden des Lebens nicht bemerkbar. Symptome obstruktiver TAPVC: Fortschreitender Atemnot, Zyanose, Ernährungsschwierigkeiten und Herzinsuffizienz.
Behandlung
Operative Behandlung ist bei allen Kindern mit diesem Defekt indiziert. Unabhängig vom Typ der Anomalie besteht der Sinn der korrektiven Maßnahme in der Einmündung des pulmonalen Venenrückflusses in den linken Vorhof mittels einer freien Kommunikation zwischen der gemeinsamen Lungenvene und dem linken Vorhof. Obstruktive TAPVC-Form stellt eine Notindikation für operativen Eingriff dar. Bei einer nicht obstruktiven Form ist die Basistherapie auf die Behandlung der Herzinsuffizienz, Korrektur methabolischer Störungen gerichtet. Die chirurgische Therapie erfolgt in den ersten Lebensmonaten.Bei der Diagnosestellung TAPVC mit einem kleinen/restriktiven ASD wird zur Blutflusserhöhung im großen Kreislauf das Rushkind-Manöver vorgenommen.
Angeborene Lungenvenenstenose
Anatomie
Lungenvenen münden in den linken Vorhof. Es können eine, mehrere oder alle Lungenvenen verengt sein. Den Grund für diese Obstruktion können unterschiedliche Mechanismen bilden. Es kann ein diskreter Bereich der Mittelschichthypertrophie oder der Intimaproliferation der beschädigten Lungenvene außerhalb des Parenchyms an der Einmündung in den linken Vorhof sein. Die Verengung kann unterschiedlichen Grad bis hin zur totalen Atresie haben. Intimaproliferation findet sich auch in den intrapulmonalen Venenbereichen sowohl in der betroffenen, als auch in der gesunden Lunge. In den meisten Fällen liegt zusätzlich zur Verengung der Lungenvenen eine Hypertrophie medialer Arteriolenschicht vor.
Diagnostik
- EchoKG, CT, MRT. Defektdarstellung.
- EKG. Es werden gewöhnlich RV-Hypertrophie und Erweiterung des rechten Vorhofs diagnostiziert.
- Röntgenaufnahme der Thoraxorgane. Das Herz ist wegen der rechtsventrikulären Hypertrophie gering vergrößert, der Pulmonalarterienbogen ist erweitert, ein Gittermuster wegen der Lungenvenenobstruktion wird dargestellt, das Lungenmuster ist asymmetrisch, mit verstärkter Vaskularisierung intakter Lungensegmente.
- Herzkatheteruntersuchung. Es findet sich pulmonale Hypertonie. Erhöhter PCW auf der obstruktiven Seite der Lungenvenen. Bei der Angiographie wird verlängerte KM-Passage über die betroffene Lunge festgestellt.
Symptome
Permanenter Atemnot und öftere Pneumonien gehen der RV-Insuffizienz und Lungenblutung unentbehrlich voraus. Die meisten Patienten sind zyanotisch. Bei einer körperlichen Untersuchung finden sich Zeichen pulmonaler Hypertonie wie angehobene Herzspitze, Akzent der Lungenkomponente im II. Herzton. Es wird i.d.R. kurzes systolisches Geräusch auskultiert.
Behandlung
Es besteht eine Indikation zur chirurgischen Behandlung der Stenose zum Zwecke der Eliminierung dieser Verengung sowie Herstellung einer adäquaten Kommunikation zwischen den Lungenvenen und dem linken Vorhof.